Warum ist Gendern solch ein Aufreger-Thema?

Neutrale Sprache

Von Zerstörung der schönen deutschen Sprache ist zu lesen, von einem Verhunzen unserer wohlgeformten Sätze (vgl. beispielsweise Gendern und Standardsprache: Die Zerstörung des Deutschen – WELT). Gerade beim Lesen der vielen hasserfüllten und emotional hochaufgeladenen Kommentare unter Zeitungsartikeln zum Thema Gendern frage ich mich, warum der ganze Stress? Warum regen sich die Menschen so sehr darüber auf, wenn Claus Kleber und andere ein Gender-Gap setzen?

Worum geht es genau?

Genera im Deutschen

Mal ganz von vorn. Das Deutsche besitzt drei Genera: männlich, weiblich und sächlich. Diese werden im Deutschen direkt am Wort sichtbar. So heißt es der Mann, die Frau und das Kind. Bei Berufsbezeichnungen unterscheiden sich die männliche und die weibliche Form oftmals. Meist wird die weibliche mit der Endung -in markiert. Zum Beispiel: der Arbeiter, die Arbeiterin, sogar bei fremdsprachlichen Bezeichnungen wie der Manager und die Managerin.

Divers

Im Oktober 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass unser Personenstandrecht so zu ändern ist, dass sich auch die Personen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, eine neutrale Eintragung im Geburtenregister angeboten bekommen sollten. Der Begriff “divers” ist seitdem in unseren aktiven oder zumindest passiven Sprachschatz gerückt. Sprachliche Gleichberechtigung ist nicht mehr ein rein “binäres” Thema.

Generisches Maskulinum

Nun sagen manche, wir hätten ja unser “generisches Maskulinum”, das doch alle Geschlechter gleich meint. So können sich alle Schüler angesprochen fühlen, gleich welchen Geschlechts. Sprachwissenschaftlich gesehen ist das auch recht logisch. Die Endung -er sagt uns, dass es sich um eine Person handelt. Diese Person ist noch nicht näher spezifiziert, kann sie aber sein. Wenn sie weiblich ist, ist es im Deutschen üblich, beispielsweise die Endung -in anzufügen. So wundert sich zum Beispiel wohl niemand darüber, dass wir Frau Merkel 16 Jahre lang als Kanzlerin bezeichneten. Dies sagen wir intuitiv, denn schließlich wissen wir, dass Frau Merkel eine Frau ist und wir kommunizieren immer so spezifisch wie möglich, um uns präzise auszudrücken. Bei Einzelpersonen ist das also gar nicht verwunderlich und auch kein Thema, bei dem die Halsschlagader heraustritt. Ernst wird es bei den Genderdebatten vor allem, wenn es um Gruppen geht, die wir beschreiben. Denkt man nur einmal an Bürger*innen oder Schüler*innen oder auch Einwohner*innen.

In Frankreich ist das Thema übrigens auch bekannt. Dort wird die Spezifizierung einer Gruppe sogar noch viel detaillierter unterschieden. Ist es eine Gruppe aus nur Frauen, bekommt diese eine weibliche Endung. Ist allerdings nur ein Mann (oder auch mehrere Männer natürlich) darunter, wird die weibliche Endung weggelassen und die Gruppe ist als männlich markiert. Das Englische hingegen kennt diese Probleme nicht wirklich, da die Wörter klassischerweise nicht hinsichtlich ihres Genus markiert werden. Der bestimmte Artikel lautet the – immer. Warum sollte man dann eine Endung anhängen? Zwar kann man schon auch Berufsbezeichnungen als offensichtlich weiblich markieren (z. B. lady doctor oder actress), aber ist eher unüblich für die Sprache.

Warum also die Aufregung?

Nun regen sich viele Menschen auf, wenn zunehmend von Bürgerinnen und Bürgern die Rede ist, wenn im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine kurze Sprechpause (die Gender-Gap) gesetzt wird. Auch in meinem Buch “Zeichensetzung für Dummies” habe ich mich in aller Kürze dem Thema gewidmet. Die Sache mit dem generischen Maskulinum ist nämlich nicht ganz einfach und es werden hier viele Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern deutlich. Weiter oben habe ich bereits erklärt, dass Wörter wie Fahrer anzeigen, dass es um eine Person geht. Diese Person im generischen Maskulinum nicht zwingend männlich sein, kann sie aber. Jemand, der das Wort also liest oder hört, könnte denken, dass es sich um einen männlichen Fahrer handelt. Der Mann wird hierbei zur Norm und zum Stereotypen erklärt. Aus einer gendertheoretischen Perspektive ist dies kritisch zu sehen, da dieser Standard andere Geschlechter ausspart. Sie sind vielleicht mitgemeint, aber dies hat viel mit der Sozialisation der Gesprächspartner*innen oder auch Lesenden zu tun. Wir alle haben gewisse Bilder im Kopf, wenn wir Begriffe hören. Woran denken Sie bei diesem Satz:

Dr. Schmidt ist fachlich kompetent und dabei auch noch sympathisch.

Denken Sie an einen Mann oder an eine Frau?

Diese Bilder im Kopf einer jeden Person ist geprägt von ihrem Umfeld, ihrer Sozialisation. Hatte die Person bereits häufig Kontakt zu Ärztinnen, wird sie vielleicht eher an eine Frau denken. Bei unseren deutschen Berufsbezeichnungen ist vieles einfach (wie es so schön heißt) historisch gewachsen. Der Anwalt, der Müllmann, der Direktor. Einige besonders weibliche Berufe wurden dann aber auch gleich so markiert: die Krankenschwester, die Hebamme, die Hure, das Kindermädchen. Dafür brauchte man anscheinend keinen allgemeingültigen “Standard”-Ausdruck. Schon seltsam, oder? Nun, das Berufsbild der Frauen hat sich über die Jahre einfach verändert. Frauen können heute de facto werden, was sie möchten, auch Dart-Spielerin, Maurerin oder Pfarrerin (aber keine Priesterin).

Was bewirkt es denn aber eigentlich für Kinder, wenn einige Berufsgruppen klar als weiblich, andere wiederum als männlich (oder vielleicht doch generisch maskulin) gekennzeichnet werden? In der Studie von Vervecken/Hannover (2015) [Vervecken, Dries/Hannover, Bettina (2015): Yes I can! Effects of gender fair job descriptions on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy. In: Social Psychology Nr. 46, S. 76–92] wurde dieser Frage nachgegangen und es zeigte sich, dass sich Mädchen eher zutrauen, einen Beruf zu erlernen, wenn die weibliche Form mit aufgeführt wird. Die Herausforderung scheint nicht mehr unüberwindbar, wenn Paarformen genannt werden. Warum reden wir also nicht ganz natürlich von Pflegerinnen und Pflegern, von Ingenieuren und Ingenieurinnen? Ist das wirklich so dramatisch?

Altes und Bekanntes hinterfragen

Gendern hinterfragt unsere gewachsenen Denkmuster – die Bilder im Kopf. Warum sollte das Männliche immer der Standard sein? Ist Gott ein Mann oder kann man es nur so verstehen? Ist der Weihnachtsmann wirklich ein Mann und was ist mit dem Osterhasen? Sollten wir nicht alle Bürger*innen ansprechen, wenn wir schon von ihnen sprechen oder fühlen sich wirklich alle von Bürger repräsentiert?

Derzeit gibt es keine Norm fürs Gendern. Es ist alles freiwillig. Und das genau ist doch das Witzige! So viel Aufregung für etwas, das man machen kann. Fast so wie beim generischen Maskulin: Man kann es so verstehen, man kann es anwenden. Man kann es aber auch einfach ganz anders verstehen.

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