Sprachpflege

"brauchen" mit und ohne "zu"

Im Deutschen galt schon immer, dass Sprache ein sich entwickelndes Konstrukt, ein Werkzeug ist, mit welchem wir uns verständigen können. Wir sprechen weitgehend nicht so, wie es uns vorgeschrieben wird, sondern wir sprechen, wie es uns unsere Umgebung vorlebt, wie der gemeinsame Konsens es vorgibt.

Als eines der ersten hochdeutschen Bücher gilt die Bibelübersetzung von Martin Luther. Damals im 16. Jahrhundert wurden über 20 verschiedene Dialekte gesprochen, es gab keine Norm, keinen einheitlichen Gedanken für ein “gutes Deutsch”. Mit der Übersetzung, die eine weite Verbreitung in der Bevölkerung erfuhr, wurde ein Rahmen geschaffen, der von allen verstanden wurde, ganz gleich, welchen der verschiedenen Dialekte des Deutschen er oder sie sprach. Aufgrund der weiten Verbreitung dieses Buches, das sich ganz bewusst an die breite Bevölkerung richtete, wurde ein Standard geschaffen. Doch Sprache wandelt sich, sie entwickelt sich stetig weiter und passt sich immer den Personen an, die sie verwenden. Schließlich ist unsere Sprache unser Werkzeug. Sie ist unser Kommunikationsmittel. Nur, wenn wir auch verstanden werden, ist unsere Sprache funktionsfähig.

Sprachpflege oder Gelassenheit?

Es gelten selbstverständlich Regeln für Rechtschreibung und Grammatik, Empfehlungen für einen wohlklingenden und ansprechenden Ausdruck, der Mehrdeutigkeiten vermeidet und die Inhalte verständlich und zielgruppengerecht vermittelt. Wir wissen durch unseren täglichen Umgang mit Sprache, was wir wo wem wie sagen können. Im Privaten drücke ich mich teilweise anders aus als im beruflichen Kontext. So unterscheiden wir denn auch zwischen Umgangssprache, Bildungssprache, Alltagssprache. Dies bezieht sich doch aber in erster Linie auf den Wortschatz, sagen Sie nun vielleicht.
Nein, nicht nur!
Denken Sie einmal an solche Sätze, in denen Sie beispielsweise “brauchen” in der Form von “müssen” verwenden und eine Verneinung mit im Spiel ist:

# Du brauchst mir dabei nicht helfen, ich kenne mich damit aus.
# Du brauchst mir dabei nicht zu helfen, ich kenne mich damit aus.

Während im ersten Beispielsatz das “zu” fehlt, erscheint es im zweiten. Laut Duden ist nur die Form mit “zu” (Infinitiv mit “zu”) korrekt, die Variante ohne “zu” gilt als umgangssprachlich. Noch vor ein paar Jahren war es undenkbar, “brauchen” ohne “zu” zu gebrauchen – vielleicht kennen Sie noch den normativen Spruch (beliebte Eselsbrücke im Deutschunterricht): “Wer brauchen ohne zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen.” Mittlerweile aber finden sich im Sprachalltag immer häufiger die Formen ohne “zu”, siehe dazu auch eine Befragung des Atlas zur deutschen Alltagssprache.
Das Wort “brauchen” in dieser speziellen Verwendung wird immer mehr zu einem Modalverb wie “wollen” oder auch “mögen”. Diese Verbarten brauchen einfach kein “zu”. Das ist nicht verwerflich und kein “falsches Deutsch”, sondern eine natürliche Weiterentwicklung des Verbs “brauchen” als anderer Ausdruck für “müssen” (ebenfalls ein klassisches Modalverb).

Also ja, warum sind wir nicht einfach gelassener hinsichtlich unserer Sprachentwicklung? Vieles ändert sich in unserem Alltag, so auch die Sprache – das ist nur folgerichtig und oftmals sogar sehr schön, praktisch und zweckdienlich.

Wichtig ist vor allem anderen, dass unsere Umgebung uns versteht und uns in der Art, wie wir kommunizieren, akzeptiert. Lassen Sie uns vor kleinen Veränderungen keine Angst haben. Viel besser ist, zu verstehen, woher die Veränderungen kommen und welche Vorteile sie mit sich bringen.

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1 Comment

  1. grammatikwissen

    Thanks — we’ll see. 😉

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